Unified Patent Court
Lokalkammer Mannheim
Einheitliches Patentgericht
Juridiction unifiee du brevet
UPC_CFI_210/2023
Anordnung
des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts erlassen am 14. Februar 2024
hier: Vorlage- und Geheimhaltungsantrag gem. Regeln 190/191, 262, 262A VerfO
Klagepatent
| Patent Nr. | Inhaber |
|---|---|
| EP 2568724 | Panasonic Holdings Corporation |
Es wird fĂĽr das Verfahren nachfolgendes Geheimnisschutzregime getroffen.
Hierbei hat das Gericht eingestellt, dass typischerweise ein anerkennungsfähiges Geheimhaltungsbedürfnis an geschäftsbezogenen Informationen besteht, die in Lizenzverträgen enthalten sind. Das nachfolgend in Schritten geschilderte Verfahren ermöglicht den Parteien einen umfassenden Geheimnisschutz und gestattet es den Parteien, die Dokumente im geschützten Verfahren auch ohne gerichtliche Vorlageanordnung vorzulegen. Wenn die nach übereinstimmendem Vortrag der Parteien üblicherweise in Lizenzverträgen enthaltenen Klauseln eine Vorlage erst auf gerichtliche Anordnung hin gestatten, so hat dies den Hintergrund, den jeweiligen Lizenzvertragspartner vor einer etwaigen Vorlage im Gerichtsverfahren in die Vorlage und den im Verfahren gewährten Geheimnisschutz einzubinden. Diesem Interesse wird durch das nachfolgende Verfahren umfassend Rechnung getragen, sodass die gerichtsseitige Anordnung einer Vorlage der jeweiligen Dokumente einstweilen nicht angezeigt erscheint. Vielmehr ist auf dieser Grundlage ggf. das Einvernehmen des jeweiligen Lizenzvertragspartners einzuholen bzw. bei Verweigerung eine eigene Entscheidung über die Vorlage zu treffen. Die Interessen des Lizenzvertragspartners derjenigen Partei, die einen Lizenzvertrag im Verfahren vorlegen möchte, sind demnach von der vorlagewilligen Partei zu wahren. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es um Dokumente geht, die die Partei vorlegen möchte und ihr die effiziente unmittelbare Kontaktaufnahme zum betroffenen Dritten möglich ist. Das Gericht müsste den Dritten, der im
Verfahren in aller Regel nicht anwaltlich vertreten ist, erst ĂĽber den oftmals aufwendigen Weg einer Auslandszustellung von Gerichtsdokumenten gem. HZĂś oder EuZVO am Verfahren beteiligen. Es erscheint auch deshalb sachgerecht, die Beibringung der Stellungnahme des Dritten ĂĽber die Partei zu veranlassen, weil die Partei selbst durch Abschluss entsprechender Vertragsklauseln daran mitgewirkt hat, die Vorlage von Dokumenten im Gerichtsverfahren zu erschweren.
Das Geheimnisschutzregime ist wie nachfolgend dargestellt ausgestaltet:
- Der anwaltliche Vertreter der Partei lädt das Dokument, welches geheimhaltungsbedürf- tige Informationen enthält, bei der Einreichung ohne jedwede Schwärzungen hoch. Da dieses Dokument die Grundlage für die Entscheidungsfindung des Gerichts über den Geheimhaltungsantrag ist, muss das Dokument ohne jedwede Schwärzung eingereicht werden (vgl. in diesem Sinne auch Anordnung der Lokalkammer Düsseldorf vom 14. Februar 2024 Order Nr. 8075/2024, App_7937/2024 betreffend ACT_590953/2023 = UPC_CFI_463/2023). Das Dokument ist zunächst für die gegnerische Partei und deren anwaltliche Vertreter nicht sichtbar. Ausschließlich das Gericht sieht das Dokument.
- Beim Hochladen hat der anwaltliche Vertreter die Möglichkeit, im Case Management System (CMS) anzugeben, dass das Dokument vertrauliche Informationen enthält.
- Zu diesem Zweck wird der anwaltliche Vertreter vom CMS aufgefordert, eine geschwärzte Fassung des Dokuments hochzuladen (sog. „redacted version“).
- Der anwaltliche Vertreter startet sodann den für den Antrag gem. Regeln 262 und Regel 262A VerfO vorgesehenen workflow im CMS und lädt dort seine Antragsschrift zu Regel 262 VerfO bzw. Regel 262A VerfO hoch. In diesem workflow, der ein „related proceeding“ zum Hauptverfahren ist, wird der anwaltliche Vertreter aufgefordert, nochmals die geheimzuhaltenden Dokumente auszuwählen und zu bestätigen. In diesem Workflow wird hingegen das geheimzuhaltende Dokument an sich nicht nochmals hochgeladen – es befindet sich allein im workflow des Hauptverfahrens. Im 262/262A-Workflow wird nur der Antrag gestellt.
- Der Antrag nach Ziffer 4. betreffend Regel 262A VerfO kann dabei – sofern hierfür ein Bedürfnis besteht – dahingehend mit einer innerprozessualen Bedingung verbunden werden, dass das Dokument, welches Gegenstand des Antrags ist, allein dann als zur Akte gereicht gelten soll und im Verfahren vom Gegner und vom Gericht im Verfahren verwendet werden darf, wenn das Gericht dem die Stellungnahmemöglichkeit durch den Gegner ab-sichernden einstweiligen und dem das Geheimnisschutzverfahren abschließenden Geheimnisschutzantrag vollumfänglich stattgibt und eine entsprechende einstweilige Anordnung sodann – nach Anhörung des Gegners – abschließende Anordnung erlässt.
- Beabsichtigt das Gericht, dem Antrag nicht oder nur in Teilen stattzugeben, wird es dem Antragsteller hierzu vorher rechtliches Gehör gewähren und ihn auffordern, nunmehr die finale Entscheidung zu treffen, ob das Dokument als eingereicht gelten soll und im Verfahren vom Gegner und vom Gericht bei seiner Entscheidungsfindung weitere Berücksichtigung finden soll.
gung finden kann. Entscheidet sich der Antragsteller, das Dokument als nicht vorgelegt be- handeln zu lassen, wird sein Inhalt weder vom Gericht bei der Entscheidungsfindung be- rücksichtigt, noch darf es vom Gegner im Verfahren – und selbstredend auch nicht außer- halb desselben – verwendet werden.
7.
Auf den Antrag nach Ziffer 4. erlässt das Gericht im ersten Schritt eine vorläufige Geheim- nisschutzanordnung, die das Dokument auf der Grundlage des bislang einseitigen Vortrags des Antragstellers, es handele sich um geheimzuhaltende Informationen, einstweilen um- fassend unter Schutz stellt, bevor das Dokument dem gegnerischen anwaltlichen Vertreter – und zunächst ausschließlich diesem – zugänglich gemacht wird. Geht es wie vorliegend um die Vorlage von Lizenzverträgen betreffend SEP-Patentlizenzen wird ein entsprechen- des einstweiliges Schutzinteresse in aller Regel zu bejahen sein. Sollte das Gericht in ein- zelnen Fällen Bedenken haben, ob es sich bei den Informationen, die nach dem Vortrag der Antragstellerseite geheimhaltungsbedürftig sein sollen, tatsächlich um geheimhaltungsbe- dürftige Informationen handelt, wird es den Antragsteller hierauf hinweisen und Gelegen- heit zur Stellungnahme geben, wenn es beabsichtigt, keine vorläufige Schutzanordnung zu erlassen. Entscheidet sich der Antragsteller daraufhin, das Dokument nicht als eingereicht gelten lassen zu wollen, wird es bei der Entscheidung nicht berücksichtigt und dem Gegner in seiner unredacted version nicht zugänglich gemacht.
8.
Wird die Einreichung des einzureichenden Dokuments gemäß Ziffer 5 unter Bedingung ge- stellt, so wird dem gegnerischen Anwalt die Verwendung des Dokuments zunächst allein zu den Zwecken seiner Stellungnahme zum Antrag gem. Regel 262A VerfO gestattet.
9.
Nachdem die einstweilige Anordnung erlassen wurde, die das Dokument für die Zwecke der Stellungnahme umfassend schützt, oder zeitgleich mit ihr, weist das Gericht die Regist- ratur an, die betreffenden geheimnisrelevanten Dokumente in ihrer ungeschwärzten Fas- sung für den Gegner über das CMS verfügbar zu machen. Die Registratur schaltet die Do- kumente über die zur Verfügung stehende Backoffice-Funktion manuell frei. Erst jetzt hat der gegnerische Anwalt – und zunächst ausschließlich dieser – erstmals Zugriff auf die sog. „unredacted version“.
10.
Zeigt der gegnerische anwaltliche Vertreter an, zu einer Stellungnahme zum Geheimnis- charakter der im Dokument enthaltenen Informationen erst in der Lage zu sein, wenn er mit einer natürlichen Person von seiner Partei Rücksprache gehalten hat, so hat er diese Person oder Personen zu benennen. Dem Antragsteller wird sodann hierzu erneute Gele- genheit zur Stellungnahme gegeben, insbesondere zu der Eignung der benannten Perso- nen. Je nach Umständen des Falls, wird sodann der Kreis der Personen, die Zugang zu dem Dokument haben durch eine angepasste einstweilige Schutzanordnung entsprechend er- weitert. Dabei wird auch diesen Personen eine Benutzung der Informationen zunächst al- lein zum Zwecke der Stellungnahme zum Antrag gem. Regel 262A VerfO gestattet.
11.
Nach Eingang der Stellungnahme der gegnerischen Partei kann das Gericht weitere Gele- genheit zur Stellungnahme gewähren oder in der Sache über den Antrag entscheiden, wenn es ihn für gewährbar erachtet.
12.
Erachtet das Gericht den Antrag nur teilweise für gewährbar oder nicht für gewährbar, wird es den Antragsteller hierüber vor der Entscheidung informieren und Gelegenheit zur Stellungnahme geben, wenn der Antrag mit der Bedingung gem. Ziffer 5 versehen war.
Falls der Antragsteller sich dafür entscheidet, das Dokument als nicht eingereicht gelten zu lassen, darf das Gericht es nicht bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen. Der Gegner darf das Dokument weder im Verfahren noch außerhalb des Verfahrens nutzen. Das Dokument verbleibt allerdings – da es Gegenstand des Verfahrens jedenfalls mit Blick auf den Antrag nach Regel 262A VerfO war – schon mit Blick auf eine etwaige Berufung bei der Akte.
13.
FĂĽr den Fall eines Akteneinsichtsgesuchs eines am Verfahren nicht beteiligten Dritten nach Regel 262.3 VerfO, ist das Dokument vor einer Kenntnisnahme durch den parallelen Antrag nach Regel 262.2 VerfO geschĂĽtzt und ist nicht Bestandteil der Akteneinsicht Dritter.
Vor dem Hintergrund dieses Regimes ist eine Entscheidung über die Anträge nach Regel 190 VerfO einstweilen nicht beabsichtigt. Hierbei war zu berücksichtigen, dass im jetzigen frühen Verfahrensstadium noch vor Eingang der Replik und Erwiderung auf die Nichtigkeitsklagen nicht valide zu beurteilen ist, ob es auf die Vorlage der Dokumente, die allein den FRAND-Aspekt betreffen, ankommen könnte. Die Parteien haben Gelegenheit, die von ihnen für sachdienlich erachteten Dokumente vorzulegen und etwaig betroffene Interessen Dritter hierbei selbst abzuklären und zu berücksichtigen. Etwaig vorzulegende Dokumente können über einen Antrag nach Regel 9 (Generic procedural application) verbunden mit einem diesbezüglichen Antrag nach Regeln 262/262A VerfO eingereicht werden (auch hier ist zunächst nur die redacted version für den Gegner sichtbar) oder mit den noch ausstehenden Hauptschriftsätzen.
Erlassen am 14. Februar 2024
Dr. Tochtermann
Vorsitzender Richter und Berichterstatter
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